Nach Methode
Nach Herausforderung
Nach Methode
Für Psycholog:innen
«Gesund sein, heisst für mich auch damit umgehen zu können, wenn es mir nicht gut geht»
Dass etwas wirklich nicht stimmte, merkte Nica Disler als sie sich 2017 plötzlich im beigen Hosenanzug auf dem Boden des Zürcher Hauptbahnhofs wiederfand und es nicht mehr schaffte, ihr Handy zu bedienen. Der Job in einer Führungsposition, in einem damals zunehmend toxischen Arbeitsumfeld, hatte seine Spuren hinterlassen.
Vom Notfallzentrum an einen Psychiater überwiesen, fand sie sich kurz darauf krankgeschrieben, mit der Vermutung ‘Burnout’ wieder zu Hause und auf sich alleine gestellt. «Ich wollte in dem Moment auch gar keine engmaschige Betreuung und fand das ganz gut so.», erzählt sie heute. Plötzlich hatte sie wieder Zeit für sich selbst, trieb viel Sport und fühlte sich besser, weil sie Gewicht verlor, welches sie zuvor im Job zugenommen hatte. «Ich machte die gefährliche Verknüpfung, dass eine mentale Belastung auch Vorteile hat, weil es sich gut anfühlte, Gewicht zu verlieren.» Erst rückblickend realisierte sie, dass die ausschliesslich medikamentöse Therapie sowie tägliches Laufen ihr zwar halfen, Zeit zu überbrücken, sie sich dadurch aber nie mit einer langfristigen Veränderung auseinandersetzte. Auch sank ihr Gewicht so stark, dass sie untergewichtig war. Nach drei Monaten zu Hause kam das nächste Job-Angebot: Eine Stelle als Beraterin in der renommierten PR & Public Affairs Agentur, furrerhugi. Begeistert von ihren zukünftigen Arbeitskolleg:innen und beflügelt von neuer Euphorie, startete sie in die neue Herausforderung.
Der gefährliche Fokus auf das Funktionieren
«Der Begriff Burnout hat eigentlich eine Art bösartiges Stigma. Viele haben den Eindruck, das sind Menschen, die einfach nicht arbeiten wollen. Ich merke, dass ich sogar selbst manchmal spöttische Bemerkungen darüber mache.» So denke man oft selbst «Na ja, ich hatte auch schon Stress und bin ja auch nicht so zimperlich. Also wollte ich die neue Stelle positiv gestimmt in Angriff nehmen». Das gesunde Arbeitsumfeld und eine positive Teamkultur erlaubten es ihr, sich genug Zeit zu nehmen für Sport, Ernährung und Freizeit. Und doch gab es Arbeitstage, in die sie erst nach einem einstündigen Weinkrampf starten konnte. «Als mir mein Vorgesetzter bei einem Gespräch meine durchaus rosige Zukunft in der Agentur aufzeigte, merkte ich auf einmal, dass ich das auf gar keinen Fall wollte». Mit wohlwollender Unterstützung ihres Chefs reduzierte sie ihr Pensum und begann nebenbei eine Ausbildung zur eidgenössisch diplomierten Naturheilpraktikerin in Ayurveda-Medizin. Als begeisterte Yoga-Praktizierende war sie mit der Thematik bereits vertraut: «Ich war schon früher regelmässig in Indien für Yoga-Auszeiten. In den letzten Jahren hatte ich einfach den Zugang zu Yoga und Meditation irgendwie verloren.»
In einem Film käme jetzt wahrscheinlich der Teil, in dem alles gut kommt. «Von aussen sah alles toll aus. High-Performance Umfeld, aber bei einem unterstützenden Arbeitgeber, der aktiv ein gesundes Arbeitsklima fördert, gute Zukunftsperspektiven und meine neue Ausbildung in vollem Schwung. Und trotzdem gab es noch dunkle Tage. Einmal sass ich auf meinem Motorrad und dachte: ‘Was, wenn ich jetzt das Lenkrad einfach herumreisse?’»
Als endlich alles in guten Bahnen verlief, entgleiste Nica erst so richtig
Der zweite Crash kam unerwartet am ersten Urlaubstag. Das Packen der Koffer stellte eine nicht bewältigbare Aufgabe dar und Nica schaffte es kaum aus dem Bett raus. Mit einfühlsamer Unterstützung ihres Ehemannes versuchte sie sich über mehrere Tage zum Packen aufzuraffen. Am fünften Tag schaffte sie es irgendwie in die Engadiner Berge. Wie genau, das weiss sie nicht mehr so wirklich. Am Ende des Urlaubs war sie jedoch nicht entspannt, sondern erschöpfter als je zuvor. «Ich hatte keine Energie dafür, mich bei der Arbeit erklären oder rechtfertigen zu müssen.» Sie wurde erneut krankgeschrieben aber traute sich auch im neuen positiveren Arbeitsumfeld nicht, den wahren Grund dafür zu nennen. «Im Moment, in dem man einen psychischen Tiefpunkt erreicht, ist es unglaublich schwer, damit offen umzugehen gegenüber dem Arbeitgeber. Man hat überhaupt keine Kapazität dafür.»
Erneut wurde sie an eine Therapeutin überwiesen, diesmal von ihrem Hausarzt, der sie kannte und wobei Nicas Wohlbefinden mit der betreuenden Person dieses Mal ins Zentrum gerückt wurde. Die vermittelte Therapeutin passte gut: «Sie involvierte mich in den Prozess, drängte mich zu nichts, aber machte mir doch klar, dass ich mich aktiv für den Heilungsprozess entscheiden muss. Ich habe jahrelang Leistungssport betrieben und bin es mir gewohnt, auch mal etwas erschöpft zu sein. Aber diese ersten paar Therapiestunden mit ihr waren etwas vom Anstrengendsten, was ich je erlebt hatte. Dennoch auch etwas vom Besten, was ich je getan habe.»
Eine weitere positive Erfahrung war, dass sie hier nicht sofort vermeintlich diagnostiziert und somit abgestempelt wurde. «Das machte mir auch klar: Zwei Menschen können die gleichen Symptome haben, aber unterschiedliche Diagnosen und Behandlungsmöglichkeiten benötigen. Psychische Belastungen äussern sich nicht immer 1:1 in den gleichen Symptomen. Man muss sie individuell anschauen und behandeln. Genauso wie wir auch in der Ayurveda-Medizin behandeln.» Beim gemeinsamen Reflektieren der letzten Jahre kamen sie zum Schluss, dass es sich bei der Burnout-Vermutung drei Jahre zuvor wahrscheinlich um eine Fehleinschätzung gehandelt hatte: «Ich habe damals nicht mehr gearbeitet, als auch in anderen Phasen meines Lebens, in denen ich immer wieder auch einen sehr hohen Pace aufrechterhalten konnte. Sondern irgendwann kamen meine Veranlagung zu Depressionen und das damals toxische Arbeitsumfeld mit viel Druck, Stress und auch Demütigungen zusammen und ich implodierte.» Eine wichtige Erkenntnis, die ihr den Weg zur Heilung ebnete.
Heilungsprozesse verlaufen nicht immer linear
Und doch waren sie plötzlich erneut da. Die Tage, an denen Nica es nicht mehr aus dem Bett schaffte. Was dieses Mal erneut und verstärkt hinzukam, waren konkrete suizidale Gedanken. «Ich empfand mich als Belastung für mein Umfeld und ich war mir sicher, wenn ich weg bin, dann nerve ich niemanden mehr.» Dank dem inzwischen tiefen Vertrauen zur behandelnden Therapeutin, schaffte sie es, auch dieses Thema aktiv mit ihr anzugehen. Durch gemeinsames Meditieren, Hypnose- und Gesprächstherapie fand sie auch den Zugang zu ihren eigenen Hilfsmitteln wieder: Meditation, Yoga, Achtsamkeit, Bewegung und der behutsame Einsatz von pflanzlichen Medikamenten, die zu ihrem individuellen Heilungsprozess passten. Die Therapeutin meisterte den Balanceakt zwischen dem Respektieren von Nica eigenen Kenntnissen und Wünschen als angehende Heilpraktikerin sowie auch dem gleichzeitigen Erhalten der klaren und wichtigen Rolle von Nica als Klientin.
«Wir wissen eigentlich alle, was uns guttut»
«Ich glaube, mein Körper funktioniert in Wellen.» Wellen, die sie je nach Konditionen und Stärke in einen Strudel herunterziehen, oder sie als federleichte Surferin über das weite Wasser tragen. «Wenn meine Stimmung sowieso schon eher schlecht ist, Stress hinzukommt, vielleicht noch eine emotionale Belastung, dann ist es eine gefährliche Welle, die über mir zusammenbrechen kann.» Was ihr hilft, die wilden Gewässer zu navigieren, wenn – oder sogar bevor – eine solche Welle anrollt, ist Meditation, Yoga und Bewegung. Werkzeuge, die sie eigentlich immer hatte. «Ich glaube, das Problem ist nicht der Mangel an Eigenressourcen. Wir wissen eigentlich alle, was uns guttut. Das Problem ist nur, dass die Tür dazu manchmal zu ist. Dann haben wir keinen Zugang mehr zu den Dingen, die uns am meisten helfen.»
Momentan ist diese Tür für Nica wieder offen. Sie nimmt sich Zeit für sich selbst, akzeptiert ihre Emotionen – gute wie auch schlechte – und beobachtet ihren eigenen Heilungsprozess optimistisch. In ihrer heutigen Selbstständigkeit als Yoga-Lehrerin und Naturheilpraktikerin gestaltet sie ihren Arbeitsalltag rund um ihr eigenes Studio selbst. Ihre Achtsamkeit gilt da nicht nur dem Wohlbefinden Ihrer Kund:innen, sondern auch ihrer eigenen Gesundheit. «Ich bin vorsichtig, abwartend. Ich weiss, dass die Tür wieder zugehen kann – aber sie muss nicht. Ich erwarte es nicht. Das ist ein Unterschied. In mir hat sich viel getan, seit ich damals am HB am Boden sass. Ich habe mich weiterentwickelt. Und wenn ich wieder Hilfe brauchen sollte, dann weiss ich jetzt, wo ich sie finden kann.» Dieses Bewusstsein erlaubt es ihr, optimistisch zu sein und doch frühe Zeichen wahrzunehmen.
«Was bedeutet gesund sein? Für mich bedeutet es traurig sein zu dürfen und das auch als okay anzunehmen. Dieses Mantra der Dauer-Happiness ist extrem toxisch, auch in der Yoga-Kultur, in der ich stark verwurzelt bin. Du musst nur den Handstand machen und dann geht es dir gut. Nein. Gesund sein heisst auch, damit umgehen zu können, dass es einem scheisse geht. Durch meine eigene Erfahrung mit meiner Depression und dank einer tollen Therapeutin sowie unter Miteinbezug meiner eigenen Ressourcen, kann ich das jetzt. Und das macht mich stärker.»
Über Nica
Nica hat zwei Masterabschlüsse, unter anderem in Biologie, Sozialpsychologie, Kommunikation und Management. Sie arbeitete viele Jahre als Leiterin der nationalen Tabakpräventionskampagne, als Mediensprecherin des BAG, als Leiterin Kommunikation des Gesundheits- und Umweltdepartements der Stadt Zürich und schliesslich als Beraterin im Gesundheitspolitikbereich auf nationaler und internationaler Ebene.Dhara ist Nicas Herzensprojekt: Ein modernes Yogastudio mit Online- und Offlineangeboten sowie eine Naturheilpraxis mit tiefen Wurzeln in der vedischen Tradition von Yoga & Ayurveda. Dhara ist Sanskrit und steht für Fluss oder für die Erde. Als Verb heisst es erhalten, tragen oder stützen. Dhara schafft Raum für Bewegung, Prävention, Heilung und Meditation.
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