«Wenn mein Körper nicht funktioniert, funktioniert mein Geist auch nicht»

Porträt-Serie «Das Universum in mir» mit Andrea | 5th May 2023

Ein herzhaftes Lachen, eine herzliche Umarmung, und Ratschläge, die von Herzen kommen: Andrea kennt man als lebhafte, kreative und ehrliche Person und Freundin. Als selbstständige Fotografin und Content Creator lebt sie ein nicht selten hektisches Leben in der Teilöffentlichkeit. In der Branche ist sie bekannt als Gute-Laune-Fotografin, die vom reservierten Familienvater, über nervöse Business-Teams, bis hin zum professionellen Model alle dazu bringt, sich vor ihrer Kamera wohl zu fühlen – auch wenn sie innerlich gerade düstere Gedanken beschäftigen. Die Resultate der Fotoshootings und die zahlreichen Buchungen, oft mehrere pro Tag, sprechen für sich.

«Ich bewege mich viel, höre Musik, vertiefe mich in Literatur oder meditiere.»

Für stressige Phasen, und Zeiten erhöhten Leistungsdrucks, hat Andrea Methoden gefunden, die ihr helfen, Geist und Seele zu entspannen: «auch einfach den Kopf bei einem Spaziergang in der Natur zu lüften, kann manchmal bereits kleine Wunder bewirken», erklärt sie. Neben diesen Belastungen und Hürden, die es im Alltag zu überwinden gilt, haben diverse traumatische Erlebnisse auch bei Andrea Spuren hinterlassen, die sie heute beschäftigen. «Ich kenne viele Menschen in meinem Umfeld, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lebens externe Unterstützung in Anspruch genommen haben.» Sie wusste somit, welche Kriterien für sie ausschlaggebend waren, um die gleiche Entscheidung zu treffen: «Vieles konnte ich mithilfe von Freunden und Familie bewältigen. Ich erkannte aber den Moment, in dem ich mir professionelle Hilfe holen musste».

Therapie ist herausfordernd genug – da muss die Chemie stimmen

Nach der Überweisung durch die Hausärztin fand Andrea im Erwachsenenalter eine Psychotherapeutin, bei der die Chemie von Anfang an passte. «In jüngeren Jahren war ich auch schon bei Fachpersonen, bei denen das Gefühl nicht so ganz stimmte. Die Auswahl ist ja eigentlich reine Glückssache.» In einer früheren Gesprächstherapie hatte sie den Eindruck, dass ihr die vermittelte Fachperson nicht bei der Antwortfindung helfen konnte und sie fühlte sich unverstanden. «Dann muss man auch den Mut haben, dies der Therapeutin oder dem Therapeuten so neutral wie möglich mitzuteilen. Wenn’s nicht passt, dann passt’s halt nicht.»

«Gesprächstherapie ist kein Zuckerschlecken»

Aktuell spricht Andrea in unregelmässigen Abständen mit einem Psychotherapeuten. Sich auch präventiv um ihre mentale Gesundheit zu sorgen und kümmern, sieht sie als elementaren Teil ihrer Selbstfürsorge. Um das Stigma rund um Gesprächstherapie zu bekämpfen, geht sie offen damit um und ermuntert auch Mitmenschen dazu, sich bei Bedarf therapeutische Unterstützung zu suchen: «Ich bin noch nie auf negative Reaktionen gestossen, wenn ich erwähnt habe, dass ich in Therapie bin. Oft sind Leute aber überrascht, oder ich höre Sätze wie – insbesondere von Männern – ‘Finde ich gut, dass du das machst, aber ICH brauche keine Therapie’. Aber damit hat das ja gar nichts zu tun.» Ihres Erachtens kann jeder und jede von einer Therapie profitieren, da dies nicht von Schwäche, sondern von Stärke zeuge.

«Einen Business Coach zieht man schnell einmal herbei, um das Geschäft zum Laufen zu bringen. Bei einem Mental Coach oder Psychotherapie hingegen haben viele Leute noch Hemmungen.»

Gesprächstherapie kann als erwiesene Methode zu einer Verbesserung des mentalen Wohlbefindens beitragen, funktioniert aber nicht wie eine Tablette, die man regelmässig einnimmt und die die mentalen Herausforderungen und Belastungen so verschwinden lässt. Höhen und Tiefen gehören zum Prozess und auch wenn es sich nicht so anfühlt, können auch die herausfordernden Phasen in einer Gesprächstherapie zum Erfolg beitragen. «Es ist beispielsweise selten angenehm, Blockaden oder destruktive Glaubensmuster zu adressieren. Doch oft folgen die Erfolge halt genau, wenn man auf diese Blockaden stösst und sich ihnen stellt. Dann, wenn’s so richtig weh tut. Das hilft dann irgendwie, um die Steine wieder aus dem Weg zu räumen.»

Selbstfürsorge findet auf verschiedenen Ebenen statt

Neben der Gesprächstherapie findet Andrea auch in anderen Tätigkeiten und Hobbies einen Ausgleich zu ihrem manchmal hektischen Alltag und den Wolken, die sich gelegentlich über ihre Stimmung legen. Zu ihrer Selbstfürsorgeroutine gehören je nach Lust und Laune eine morgendliche Joggingrunde, ausgelassenes Tanzen im Wohnzimmer, das Lesen und Diskutieren von Literatur mit Freundinnen oder einfach mal kurz die Füsse in den kalten Zürisee stecken. «Ergänzend ist für mich auch Klangtherapie oder Shiatsu sehr hilfreich. Das Wohlbefinden von Körper und Geist hängt für mich stark zusammen.»

«Wenn mein Körper nicht richtig funktioniert, funktioniert mein Geist auch nicht.»

Gesund sein ist individuell und sieht nicht bei allen gleich aus

Wie geht’s? Wie läuft’s? Gaht’s guet? Ça va? Die Frage nach dem Wohlbefinden der Person gegenüber verkommt im Alltag oft zu einer dahingesagten Floskel. Andrea würde sich wünschen, dass, vor allem innerhalb von Freundeskreisen, die Frage öfters ehrlich und ausführlicher beantwortet würde anstatt mit einem «Danke, gut. Und dir?». Sie selbst hat die Antwortkategorien von «gut» und «schlecht» verworfen und bevorzugt «okay», «okay plus» und «okay minus» oder an einem richtig guten Tag auch mal ein ehrliches und euphorisches «FANTASTISCH». Und falls die Antwort ein «okay, danke der Nachfrage» ist, bedingt diese Ehrlichkeit auch nicht immer eine detailliertere Ausführung und darf so stehen gelassen werden. «Jeder Mensch ist mental irgendwo, irgendwie belastet, ob mehr oder weniger, auch wenn man das von Aussen nicht sieht. Ich wünschte mir noch mehr Enttabuisierung.»

«Der Umgang mit mentaler Gesundheit sollte meines Erachtens bereits in der Schule antrainiert werden.»

Über die Frage, wie es ihr heute geht, hat sie von allen Fragen am längsten nachgedacht «Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir jetzt, heute, in dieser Minute, in der ich das Gespräch führe, richtig gut geht. Es geht mir heute ‘okay’, danke der Nachfrage.»

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Über Andrea

Andrea hat Journalismus und Unternehmenskommunikation studiert und lebt seit über 10 Jahren als selbstständige Fotografin in der Stadt Zürich. Sie war noch nie betrunken, da sie nie das Bedürfnis hatte Alkohol auch nur auszuprobieren und hat bereits zweimal am New York Marathon teilgenommen. Über ihre Social-Media-Präsenz setzt sie sich ein für vegane Ernährung, teilt Inspirationen zu Mode und trägt zu einem offeneren Umgang mit Themen rund um mentale Gesundheit bei.

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Sarah von Aepsy

Aepsy ist menschliche Kreativität, Ästhetik und Technologie für einfachen, stigmafreien Zugang zu mentaler Gesundheit. Wir reissen Hürden ein und setzten Köpfe frei. Bis alle mental befreit ihren Träumen folgen können. Für uns, für dich und die Generationen nach uns.

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