Systemische Therapie

Vom Individuum zum sozialen Umfeld

Gerade in unserer individualistisch orientierten Gesellschaft geht die Systemische Therapie neue Wege. Sie verschiebt den Fokus vom Individuum hin zum System, in dem wir uns bewegen und ermöglicht so die Einnahme einer neuen Sichtweise. Unter dem Begriff System wird dabei das soziale Umfeld des Individuums aufgefasst. Hier erfährst du, was die Grundannahmen dieser Therapieform sind, und was eine systemisch orientierte Therapie alles beinhaltet.

 

Geschichte und Annahmen

"Die Systemische Therapie legt ihren Schwerpunkt auf den sozialen Kontext psychischer Belastungen".

Anfangs der 1950er Jahre begann in den USA die Familientherapie an Popularität zu gewinnen. War eine Psychotherapie bis zu diesem Zeitpunkt eine Angelegenheit zwischen Therapeut/in und Klient/in, wurde nun erstmals damit begonnen, auch die Familie des belasteten Individuums in die Therapie mit einzubeziehen. Mehr und mehr wurde festgestellt, dass Belastungen und sich daraus ergebende Probleme nicht als isoliert betrachtet werden sollten, sondern als Bestandteile einer sozialen Systemstruktur.

Die Implikationen, welche sich aus dieser neuartigen Perspektive ergaben, waren weitreichend. Psychische Störungen wurden nicht mehr als rein individuelle Prozesse angesehen, da sie immer in einen sozialen Kontext eingebettet sind. Familiäre Subsysteme wie die Eltern-Kind- oder auch die Partnerbeziehung erhielten im Zuge dieser Erkenntnis einen ganz anderen Stellenwert.

Durch konstante Weiterentwicklungen entstand aus der Familientherapie im Laufe der Zeit schlussendlich die Systemische Therapie. Sie legt ihren Schwerpunkt auf den sozialen Kontext psychischer Belastungen, und bezieht im Gegensatz zu vielen anderen Therapierichtungen auch Familien- und Systemmitglieder in den Therapieprozess mit ein. Systemische Zusammenhänge und interpersonelle Beziehungen werden bewusst in den Mittelpunkt der Behandlung gestellt, um so das dysfunktionale System und die daraus entstehende Symptomatik behandeln zu können.

Dem systemischen Ansatz liegt ein zirkuläres Störungsverständnis zugrunde. Das heisst, dass anstelle einseitiger Ursache-Wirkungs-Beziehungen vielmehr die Wechselwirkungen zwischen Individuen, ihren Symptomen und ihrer Umwelt in das Zentrum des Verstehens rücken. Dies erlaubt eine ganzheitliche Sichtweise auf das Störungsverständnis.

 

Methodische Aspekte

Eine Systemische Therapie oder Beratung kann in diversen Settings durchgeführt werden. Nebst der Einzeltherapie, bei der beispielsweise persönliche Probleme bei der Arbeit oder in der Schule besprochen werden, gibt es auch die Möglichkeit, weitere Mitglieder des sozialen Systems in die Therapie einzubeziehen. Egal ob Paartherapie, Familientherapie oder Gruppentherapie - die systemische Therapie ist in ihren Grundzügen sehr flexibel.

Auch hinsichtlich der möglichen Behandlungsmethoden bedient sich die Systemische Therapie diversen Werkzeugen. Es wird vor allem mit symbolischen Darstellungen gearbeitet, um die Beziehungen zwischen einzelnen Teilen des Systems zu visualisieren und Veränderungen anstossen zu können. Einige dieser Methoden werden hier kurz vorgestellt:

  • Genogramm: In einem Genogramm werden die Beziehungen und Strukturen innerhalb einer Familie grafisch auf einem Stück Papier veranschaulicht. Dieser Prozess umfasst in der Regel den Einbezug mehrerer Generationen, um ein ganzheitliches Verständnis der Familiengeschichte zu erlangen. Informationen wie besondere Schicksale, Todesfälle oder Familientraditionen werden nach Möglichkeit ergänzt. Vielfach können so wiederkehrende Muster in der Familiengeschichte erkannt und verdeutlicht werden.
  • Familienskulptur: Bei dieser Technik wird ein Mitglied eines Paar- oder Familiensystems gebeten, die anderen Personen so zueinander zu stellen, wie die Beziehungen untereinander subjektiv erlebt werden. Oft wird auch noch ein weiteres Mitglied des Systems aufgefordert, ein (unterschiedliches) Bild darzustellen. Es handelt sich um eine intensive, nonverbale Technik, bei der emotionale Nähe und Distanz sehr gut veranschaulicht werden können. Ausserdem können auf diese Art zahlreiche Denkanstösse gegeben werden: Bin ich zufrieden mit dem Platz, den ich in der Skulptur erhalten habe? Wo findet sich die Belastung/Störung im System wieder?
  • Zeitlinie: Hier wird der eigene Lebenslauf auf einer grossen Zeitlinie aufgezeichnet, und bedeutsame Ereignisse wie Beziehungen, die Geburt eines Kindes oder auch persönliche Krisen speziell hervorgehoben. Dabei sind der eigenen Kreativität keine Grenzen gesetzt: Auf der Zeitlinie kann nach vorne oder zurück geschaut werden, Stolpersteine können farblich markiert, oder schwierige Zeiten durch kurvige Verläufe gekennzeichnet werden. Auf diese Art und Weise kann die Arbeit mit einer Zeitlinie das eigene Bewusstsein dahingehend stärken, dass das Leben immer im Fluss ist und sich ständig verändert.

 

Behandlung

"Eine Therapie beinhaltet die Bereitstellung eines neuen Rahmens, in dem Veränderung auftreten kann."

Im Gegensatz zu vielen anderen Psychotherapieformen, sieht sich der/die Therapeut/in selbst als Teil des Systems. Wenn sich also eine Familie, ein Paar oder ein/e Einzelklient/in zu einer Fachperson in eine Therapie oder Beratung begibt, entsteht ein neues System, in dem alle Mitglieder wechselseitig verbal und nonverbal aufeinander Einfluss nehmen. Da jedes Individuum seine eigene subjektive Wahrnehmung der Situation aufweist, gibt es nicht die eine richtige Beschreibung der Realität. Vielmehr erschaffen die Systemmitglieder gemeinsam mit dem/der Therapeut/in eine Realität; sie konstruieren sozusagen ihre eigene Wirklichkeit.

Die Verinnerlichung dieser Sichtweise eröffnet im Rahmen des therapeutischen Prozesses ganz neue Möglichkeiten. Eine Therapie wird fortan weniger als Möglichkeit betrachtet, den Menschen zu verändern. Tatsächlich beinhaltet sie die Bereitstellung eines Rahmens oder neuen Kontexts, in dem Veränderung auftreten kann und festgefahrene Strukturen gemeinsam neu betrachtet werden können. Damit einhergehend existieren eine Vielzahl an therapeutischen Methoden, die sich gut mit einem systemischen Ansatz kombinieren lassen.

Im Laufe der Zeit hat sich die Systemische Therapie zu einem festen Standbein der Psychotherapie entwickelt und ist aus dem heutigen therapeutischen Angebot nicht mehr wegzudenken. Die Wirksamkeit der Systemischen Therapie wurde insbesondere in den folgenden Bereichen wissenschaftlich bestätigt:

  • Depression
  • Angst
  • Essstörungen
  • Schizophrenie
  • Substanzmissbrauch und Abhängigkeiten
  • Psychische und soziale Faktoren bei körperlichen Erkrankungen

Wenn du an einer Belastung leidest, die einem oder mehreren dieser Bereiche zugeordnet werden, kann ein Gespräch mit einer Fachperson hilfreich sein. Bei Aepsy findest du eine grosse Auswahl an Therapeutinnen und Therapeuten, die dich kompetent unterstützen - für dich und eine gesunde Gesellschaft.

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