Nach Methode
Nach Herausforderung
Nach Methode
Für Psycholog:innen
«Es braucht Zeit, bis Gesprächstherapie wirkt. Es braucht ja auch Zeit, in die ganze Misere hineinzuschlittern.»
Verzweiflung und depressive Verstimmungen passen nicht zum Bild von Börni Höhn. In der Schweiz kennt man sie als passionierte Musikerin und Frohnatur, die, vor allem auf der Bühne, nur so strotzt vor Energie. Ihr Umfeld schätzt sie als zuverlässige und fürsorgliche Freundin – ein Sonnenschein, der andere zum Lachen bringt. Heute fühlt sich Börni dieser Version ihrer selbst wieder näher. Dazwischen liegen jedoch zahlreiche schlaflose Nächte, viele Gespräche und eine holprige Reise zu ihr selbst.
Eine destruktive berufliche Beziehung, die auch in ihr Privatleben rüberschwappte, liess Börni im ersten Pandemiejahr 2020 unerwartet in eine depressive Verstimmung schlittern, die sie so noch nie erlebt hatte. Ihr damaliger Geschäftspartner und Freund versprach ihr Himmel auf Erden, tüftelte mit ihr an neuen Ideen und schmiedete grosse Pläne für das Geschäft, in das sie auch selbst investiert war. «Schleichend merkte ich, dass er seine Versprechen oftmals nicht hielt, dafür seltsame Erklärungen und Gründe fabrizierte und mich stetig anlog.»
Da Börni auch Personen aus ihrem Netzwerk als Mitarbeitende oder Investor:innen an Bord geholt hatte, begann das schlechte Gewissen, sie zu plagen. «Als ich realisierte, dass in der Firma nicht alles sauber ablief, fühlte ich mich unglaublich schlecht. Ich suchte die Schuld bei mir und hatte das Gefühl, selber Freunde angelogen und betrogen zu haben» Ihre Versuche, die Situation zu lösen und das Schlimmste zu verhindern, scheiterten, als ihr Partner mit dem Geld das Weite suchte.
«Ich fühlte mich naiv und blossgestellt. Das tut sauweh.»
Getrieben von ihrem Verantwortungsgefühl stürzte sich Börni kopfüber in die Schadensbegrenzung, um sicherzustellen, dass keine weiteren Personen zu Schaden kamen.
Als die Pandemie im Frühling 2020 die ersten Lockdowns brachte, durfte Börni – trotz Wohnsitz in den USA —plötzlich nicht mehr zurück in ihre Wahlheimat Los Angeles reisen. «Ich sass in der Schweiz fest und verlor mich in meinem Versuch, den geschäftlichen Schaden zu begrenzen. Ich hatte keine Auftritte mehr und traf auch keine Freunde. Wenn ich mich doch mal unter Leute mischte, wurde ich schnell darauf angesprochen, dass ich traurig und erschöpft wirke». Die dadurch entstandene Erklärungsnot führte dazu, dass sie noch weniger Freunde traf, um Fragen nach ihrem Wohlergehen und ihrer Gesundheit aus dem Weg zu gehen.
«Wenn man dann mal ehrlich ist, wollen einen auch immer alle gleich therapieren. Niemand will einfach nur zuhören. Aber manchmal braucht man einfach nur ein offenes Ohr und keine Lösungsvorschläge.»
Geplagt von Sorgen und ihrem schlechten Gewissen, wälzte sie sich stundenlang im Bett, bevor sie einschlafen konnte und grübelte, wie es zu dieser Situation hatte kommen können. Die Erschöpfung der Nacht ging über in Tage, an denen ihr nichts Freude bereitete und sie keinen Sinn mehr in ihrer Existenz sah. «Es kam ein Moment, in dem ich dachte, wenn es einen Knopf gäbe, den ich drücken könnte und ohne Konsequenzen würde das Licht ausgehen… Ich würde es tun. Aber ich habe ein Mami, einen Papi und weitere Leute, die mich lieb haben und das hat mich davon abgehalten.»
«Ich wusste irgendwann, dass ich meinem Leben kein Ende setzen würde, aber ich habe mich doch stark mit dem Gedanken auseinandergesetzt. Das war sehr aufwühlend.»
In diesen dunklen Momenten fand Börni auch Halt bei Gott: «Wenn man die Bibel liest, merkt man, dass viele Leute lange in der Scheisse sassen und dann auch mit Gott geschimpft haben. Damit konnte ich mich identifizieren. Und dann glaubte ich auch wieder, dass ich das auch aushalten kann.» Als die Sorgen, die wie ein Gebirge auf ihrem Herzen lasteten, kaum mehr zu ertragen waren, versuchte sich Börni aussenstehende Hilfe zu holen.
«Ich wollte nicht einfach wahllos eine Therapiesitzung buchen. Mir wurde dann zwar jemand empfohlen, diese Therapeutin hatte aber keine Verfügbarkeit.»
So verlief die erste Suche nach Hilfe im Sand. Börni spürte, wie sie immer dünnhäutiger wurde und weniger Mitgefühl für andere empfand – was für sie, als grosse Empathin, untypisch war. Sie verlor ihre Energie und die restliche Lebensfreude und merkte irgendwann, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. «Dann folgte die Phase der ziellosen Versuche, mich abzulenken. Ich ging wandern, raus in die Natur und versuchte mich mit Reiten. Aber auch dieser Ablenkungsversuch verlief im Nichts.»
Da wurde für sie klar, dass sie nochmals Anlauf nehmen musste, um sich Hilfe zu suchen. «Ein Freund stand mir damals besonders gut zur Seite. Er war einfach da. Er ging mit mir Bier trinken und hörte einfach zu, ohne mich gleich flicken zu wollen.» Dieser Freund vermittelte Börni an seinen Vater, der in der Seelsorge tätig war.
«Beim ersten Gespräch hatte ich eine riesige Erwartungshaltung. Aber es braucht Zeit, bis Gesprächstherapie wirkt. Es braucht ja auch Zeit, in die ganze Misere hineinzuschlittern.»
Börni wurde klar, dass sie zuerst von innen heraus heilen musste: «Erst dann kann man versuchen, da wo möglich, die Umstände zu ändern». Sie fand den Zugang zu ihrer musischen Seite wieder und fing wieder an, Musik zu machen sowie für andere zu schreiben. «Ich muss nicht gerade die Welt verbessern mit meiner Musik. Es erfüllt mich schon mit Glück, wenn sie einzelnen Menschen etwas gibt.»
Durch die Gesprächstherapie und die Freude für andere Menschen da zu sein, schaffte es Börni, ihre Abwärtsspirale zu stoppen. «Jemandem zu helfen bedeutet auch, immer einander zu helfen. Seinen Fokus zwischendurch mal von sich selbst auf andere zu legen bedeutet nicht immer, von den eigenen Problemen davonzulaufen.»
«Jemand anderem etwas zu geben, war das schönste Seelenheil für mich.»
Im Begriff ‘zufrieden’ steckt auch ‘Frieden’. Börni hat ihren Frieden wieder gefunden. «Ich finde auch ‘Bewusstsein’ einen extrem schönen Begriff. Bewusst sein. Man ‘ist’ bewusst, man ‘lebt’ bewusst und nimmt alles wahr – in all seinen Facetten.» Heute ist Börni zufrieden mit sich selbst, ihrem Leben und ihren Träumen. Die durchgemachte Zeit machte sie zu der Person, die sie heute ist und eröffnete ihr neue An- und Einsichten:
«Einsamkeit ist ein Multiplikator von Depressionen. Heute weiss ich, dass ich nie alleine war und nie alleine sein werde. Ich habe gelernt, hässig zu sein, traurig zu sein, Schmerz zu akzeptieren, aber nie zu resignieren.»
«Das höchste Gut im Leben ist es, mit mir selbst im Reinen zu sein. Dann kann es rundherum klöpfen und tätschen, aber ich weiss, ich bin okay.» Was auf dem Weg dahin hilft? «Auf den eigenen Körper hören. Müdigkeit und Erschöpfungssymptome ernst nehmen. Die eigene Seele pflegen. Körper und Geist sind stark, aber irgendwann können auch sie nicht mehr. Und man kann viel mehr nein sagen und auf sich selbst schauen als man denkt. Und wenn man dann zu etwas ja sagt, dann richtig und dann zerrt es keine Energie, sondern gibt einem ganz viel Energie zurück.»
Über Börni
Börni ist Musikerin und Unternehmerin in der Schweiz. Von 2010 bis 2020 lebte sie zuerst in New York und später in Los Angeles, um sich auf ihre Musik zu konzentrieren. Als die Pandemie 2020 startete, zog sie zurück in die Schweiz. Im Oktober 2022 hat sie ihr viertes Album «Two Truths» und die Single «I’m Alive» veröffentlicht, in dem sie ihre Depression musikalisch verarbeitete.
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